Frank Schirrmacher schreibt viele richtige Dinge: Das Internet sei voller Müll, es wäre erschöpfend, sich durch eben diesen zu manövrieren, es könne von den wirklich wichtigen Dingen ablenken und es nicht zu benutzen dürfte in nächster Zukunft die eigene Existenz mehr oder minder in Frage stellen. Auch ist sicherlich richtig, dass es immer Menschen geben wird, die ihrem digitalen Selbst, der nächsten Information oder der elektronischen
Glücksnuss zu viel
Wichtigkeit beimessen.
Genauso gut lasse sich aber mit dem Internet arbeiten, sich im Schwarm in Windeseile Lösungsmöglichkeiten finden, für die der Einzelne Jahre gebraucht hätte. Der Computer nehme uns Arbeit ab, speichere Informationen und schaffe Freiräume, die es uns ermöglichen, unsere Zeit besser zu nutzen. Wenn wir denn bereit swären, diese entstehenden Freiräume zu nutzen und uns dem zuwenden, was wir als Menschen laut Schirrmacher am besten könnten: der Heuristik, also der Erkenntnis, dass es sich auch mit unvollständigen Informationen leben lässt.
Das wiederum bedeute aber, dass wir uns von dem Neuling auf den sozialen Pfaden des Netzes hin zu einem digitalem Erwachsenen entwickeln müssen, der die digitale Flut weniger als Glaubensaufforderung denn als Meer von Möglichkeiten sieht und mit Hilfe seiner Selbstkontrolle - denn darum gehe es ja beim
Erwachsenwerden - dazu in der Lage wäre, auf Beutezug zu gehen. Die winkende Prise sei ein gutes, effizientes Arbeiten, im besten Fall Leben und ein austrainierter Muskel, Schirrmachers Bild für ein gut funktionierendes
Zerebrum.
Erreichen kann dies laut Schirrmacher nur eine den Zeichen der Zeit angepasste Erziehung. Nichts fällt da leichter, als die eh schon gebeutelten Schulen und das Bildungswesen in Gänze in die Pflicht zu nehmen. Sie sollen Menschen wie ihn, also 50-jährige Pennäler, in Zukunft auf eben selbe vorbereiten. Bleibt nur die Frage, was an diesem Satz nicht stimmt.
Frank Schirrmacher hat also eine Erfahrung gemacht, die er verarbeiten will. Es ist die Erfahrung, die jeder von uns gemacht hat, als er sich das erste Mal mit dem Internet auseinander gesetzt hat und eine Mischung aus Aufregung,
Unsicherheit und Neugier empfand. Ähnlich müssen sich Kolumbus und seine Kumpanen gefühlt haben, als sie ihre Füße in den nassen, fremden Sand der Neuen Welt setzten.
Und dieser Ort der Unwägbarkeiten - später wurde er der, der unbegrenzten Möglichkeiten - war zunächst schwer einzuschätzen. Also tat man das, was man zu der Zeit am besten konnte: man verteufelte ihn, um ihn dann auszuschlachten. Ähnliche Bestrebungen kann man momentan in den größeren Verlagshäusern beobachten, zu deren Belle Etage sich auch Herr Schirrmacher zählen darf. Payback steht auf Rang 3 der Bestsellerlisten. Das nur am Rande.
Frank Schirrmacher ist aber de facto weder Christopher Kolumbus noch Marc O'Polo, auch wenn uns das die Medien in ihrer (zu) spät erwachenden Netzbegeisterung glauben machen wollen. Er war eben nicht der Erste oder Einzige. Deshalb hat sein Buch in letzter Instanz wenig Originäres zu bieten. Vielleicht liest es sich auch gerade deswegen so leicht.
Denn selbst in Deutschland gibt es nicht wenige, die sich 2003 das erste Mal in
Jetzt oder
Intro.de einloggten (um
MySpace auszusparen), in Sammelsurien aus Tagebucheinträgen, ersten Gehversuchen in Sachen Selbstdarstellung und einer gehörigen Portion zwischenmenschlicher (vor allem zwischengeschlechtlicher) Kommunikation. Diese Geschenkbox hielt schon damals in etwa alles bereit, was man brauchte, um sich seiner Zeit vollständig zu berauben. Diese
Erfahrung haben die
digitalen Ureinwohner, wie sie von Schirrmacher und Lobo genannt werden, bereits hinter sich.
Wir haben, wie Sascha Lobo
in seinem Artikel richtig bemerkt, im besten Fall aus der Erfahrung gelernt - genug Zeit dafür gab es. Das eben hat Schirrmacher in letzter Konsequenz noch nicht - zumindest gibt er dies vor. Und aus diesem Missstand, dem Verlust der Deutungshoheit und der Kontrolle, dem Zwang, sich mit etwas
Neuem beschäftigen zu müssen, entstand sein Buch. Es handelt von einem Prozess, der schon begonnen hat, denn das digitale Amerika ist längst besiedelt. Das jedoch bleibt weitesgehend unausgesprochen.
Für die predigitale Generation mag das von Schirrmacher vermittelte Wissen und seine Thesen einen Aha-Effekt besitzen. Sie haben die neue Welt nie gesehen. Viele meiner Freunde und Kollegen, sogar Mitmenschen - wenn man sich weit aus dem Fenster lehnen wollen würde - sind jedoch, um im Bild zu bleiben, schon längst Weltenumsegler. Frank Schirrmachers Worte klingen da wie die Schwärmereien eines alten Mannes, der vorgibt dabei gewesen zu sein. Nur hat er den Hafen der alten Welt nie verlassen.
Wir aber, die "Digital Natives", akkumulieren und filtern schon heute Nachrichten in unseren Readern, verabreden uns im Netz auf einen echten Kaffee, arbeiten an
Shared Docs, haben immer alles griffbereit und finden in den sozialen Netzen Gleichgesinnte aus Frankfurt, um die Dinge des Lebens zu besprechen. Wir wissen, dass das praktisch ist und haben
gelernt, mit unseren Sextanten umzugehen. Und wir sind nicht allein. Leider gilt dies auch für die Schirrmachers.