Meine erste Hochzeit begab sich im Garten meiner Eltern. Eine Gardine aus der Karnevalskiste verschleierte die kleine Braut. Zwei Wochen später wurde ich eingeschult. Mein zweiter Eheschluss folgte mit 23 und war durchaus ernster, obgleich ohne Brautkleid, ohne Pfarrer, und ohne Gäste. Ein Klick und der Ring saß am Finger. Ich stellte meinen Beziehungsstatus in meinem StudiVZ-Profil auf verheiratet. Der Überfluss an Oxytocin in meinen Adern ließ mich glauben, dieses Mal sei es für immer. Aber noch mehr schwingt mit als ein impulsiver Glücksmoment, wenn junge Menschen in sozialen Netzwerken ihrer Beziehung virtuell Gewicht verleihen. Die Preisgabe im Internet, ob der Herr oder die Dame Single, in einer Beziehung, verheiratet oder geschieden sind, ist Selbstdefinition, dient der schmerzlosen Kommunikation und ist nicht zuletzt ein Status, sondern oftmals Statussymbol.
„Du hast geheiratet?“ Natürlich hatte ich das nicht. Auch die Umstellung des Status von vergeben auf Single muss im Netz nicht bedeuten, dass die Beziehung am Ende ist. Zu den schier unbegrenzten Möglichkeiten sich im Social Web ein eigenes Ich nach Maß zu stricken, tritt die Möglichkeit Beziehungen neu zu definieren und mit vertrauten Menschen zu kommunizieren.
Den roten Teppich für die Bekenntnis zum Liebeslebenswandel haben die sozialen Netzwerke selbst ausgerollt. Obgleich die von jungen Menschen genutzten Netzwerkangebote nicht explizit der Partnersuche dienen, sonder zunächst auf den Wunsch zurückgehen, sich in den schon existierenden Freundeskreis nun auch im Web einzureihen, enthält das Formular zur Selbstdarstellung stets die Möglichkeit, etwas über die sexuelle Orientierung und den Fortschritt auf dem Weg zum Hafen der Ehe anzugeben. Die Nutzer haben die Formularvorgabe schnell von dem spröden Charme der Steuererklärung und Auskunft über die Paarungsbereitschaft befreit und sich zu eigen gemacht. Die Angaben zu Beziehungen sind für statistische Erhebungen uninteressant, da sie im Netz in vielen Fällen eine andere Sprache sprechen. Das Vorhandensein eines Partners auf einer Profilseite mag nur Schutz vor ungewollten Anfragen sein. Bei Facebook heiraten die besten Freundinnen einander, als Ausdruck starker Freundschaft, aus Sorge um das leere Feld. Was wir im Netz über Zwischenmenschliches berichten und wie wir mit Partnern kommunizieren, eröffnet ein neues Feld für die Beziehungs- und Kommunikationsforschung.
Eine breit akzeptierte Umgangsform mit dem Beziehungsleben hat sich in sozialen Netzwerken noch nicht etabliert. Schon die Haltungen gegenüber der Eintrittsfrage: „Äußere ich mich dazu, ob und in welcher Art von Beziehung ich lebe?“, wird völlig unterschiedlich bewertet. Für wen eine intim gelebte Partnerschaft von hoher Wichtigkeit ist und diese sich im kleinen Kreis zweier Menschen bewegen soll, mag von vorneherein auf die Angabe verzichten. Nicht jedem Aspekt des eigenen Lebens muss Virtualität verliehen werden: „Meine Freunde wissen doch, dass ich einen Freund habe und kennen ihn. Wozu sollte ich das ins Netz stellen?“ Doch was für den einen die Diskretion des Glücks bedeutet, kann für den anderen verletzend sein. Ein Nicht-Bekenntnis zur besseren Hälfte im Netz kann als Nicht-Bekenntnis zur Beziehung im Alltag gewertet werden; eine Aufwertung des Beziehungsstandes von in a relationship zu married mag den anderen bedrängen; und was passiert eigentlich, wenn man sich ganz oder vorübergehend trennt? Ersetzt heutzutage die Löschung des Ex per Mausklick das über eine Trennung Hinwegkommen in Rekordzeit? – Das Web schwenkt seine soziale Fahne: Das Miteinander leicht gemacht. Bisweilen bedarf es kurz nach der Statusaktualisierung klärenden Worten im direkten Austausch. Die Kommunikation über und mit der Beziehung ist ein Tanz auf dem Glatteis – zumindest, wenn der Partner mitliest.
Das netzbasierte Beziehungsmanagement geschieht nun aber nicht nur in den vier Wänden der eigenen Profilseiten, sondern in den viele Ecken des Social Web. Es betrifft neben dem Partner nicht nur den besten Kumpel oder die große Schwester, sondern mehrere Dutzend Freunde, Bekannte, vergessene Schulkameraden und Kollegen. Doch ganz anders als die Selbstverständlichkeit, kompromittierende Partyfotos nicht im Netz zu teilen, sollten Zeilen zur Liebe oder zur Einsamkeit kein Tabu sein. Dass wir uns daran gewöhnen Erlebnisse, Gedanken und in Worte gefasste Gefühle nicht gezielt mit einer Person zu besprechen, sondern offen für den Kreis der Freunde im Netz zur Kommentierung freigeben, bedeutet keine generelle Verflachung von intensiven Freundschaften, sondern ergänzt diese mit Menschen, die einander digital besser kennen und verstehen lernen. Egal ob Freude oder Frust, ein Tippen des Gemütszustandes ins Netz ermöglicht ein kleine Abbitte, auch wenn ansonsten jeder schläft. Ein rührend geschrieben verliebter Gedanke mag seinen Weg ein Stück weiter ins Netz beschreiten, zu Tränen rühren, Ablehnung erfahren, flüchtig am Leser vorbeirauschen. Das in Tinte getränkte Tagebuch schweigt im Dunkeln auch Tage später.
Gehören Gefühle in die Weiten des Netzes? Sie tun es, denn auf digitalen Bahnen muss weitaus mehr statt finden, als Nachrichten- und Informationsfluss, um die Kanäle lebendig zu halten. Twitter fand seinen Weg in die öffentliche Wahrnehmung und Medien außerhalb des Internets, als der Journalismus begann den Wert des Microbloggingdienstes als Nachrichtenquelle und Recherchemöglichkeit zu entdecken. Doch ein Großteil der ins Web gesandten Kurztexte informieren nicht sachlich, sondern sehr persönlich. Zum Strom der Nachrichten und Meinungen gesellen sich Gefühle, Begegnungen und Dialog. So überrascht es nicht, dass die Umarmung des getickerten Lebens aus der Ecke der schreibenden Zunft vorangetrieben wird, die aus dem Verständnis ihrer Berufung heraus seit jeher mehr Emotion und Wortgewalt in Texte schossen, als die Journalisten: Schriftsteller.
Jeder Mensch ein Wortkünstler; jeder verliebte, jeder verlassene Mensch ein Autor, der seine Tweets mit Herzblut pflanzt. Nähert man sich einer Typologie der Akteure im Social Web, die es mit Liebesbekundungen, Kinderwünschen und den resignativen Seufzern der Langzeitsingles befüllen, fällt schnell auf, dass die Literarizität dieser meist kurzen Auswürfe begeistern kann. Für den Liebsten, für den Ex, werden die Tasten weichgeklopft. Aber mehr noch: der sprachliche Anspruch ergänzt die Erklärung des freigiebigen Erzählens um ein weiteres Element: Neben das Herzklopfen, das mit loser Zunge schreiben lässt, tritt die erzählerische Perspektive des Absenders, der seine Liebesgeschichte als Fortsetzungsroman in 140 Zeichen oder Blogeinträgen verfasst. Partner und Selbstbild flüchten sich in die dritte Person, sprechen lauter, sprechen freizügiger und treten auf unter Namen, die sie als Figur inszenieren, anonymisieren und austauschbar machen. Der Mann, der Begleiter, Frau X und der Ex. Die Wahrung der Identität hinter abstrakten Begriffen beruhigt das Gewissen des freigiebigen Autors und gewährleistet zudem die Unendlichkeit der Geschichte: die nächste Frau, wird wiederum „die Frau“ getauft.
Doch der Roman unseres Liebeslebens verwischt die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion noch weit reichender, als es die Darstellung des eigenen Ichs im Netz bisweilen tut. Das Biotop der Beziehung kann nach Belieben fernab des Tatsächlichen bespielt werden, ohne Herzen zu brechen. Dies aber ist vorrangig der Fall, wenn der Partner das Netzwerk der Wahl entweder gar nicht oder wenig intensiv nutzt, oder erst noch gefunden werden will. Direkt adressierte Liebesbekundungen sind selten und verlaufen zumeist über private Bahnen. Die Erklärung der Liebe geschieht vor den Augen der mitlesenden Netzbewohner oft indirekt. Das verklärt verliebte Grinsen, das ein frisch in den rosa Schleier getauchter Mensch nicht verstecken kann, wird ungehemmt ins Netz geschrieben. Eine Ausformulierung des Glückes zu zweit, als würde jede weitere Verewigung im Web die Partnerschaft schützen vor der Schnelllebigkeit der Liebe; jedes einsam notierte Zubettgehen der Partnerlosen die bessere Hälfte ein Stück näher rücken. Für manche mögen das Zeichen emotionaler Verwahrlosung sein, doch das Teilen der Gedanken im Netz kann ebenso die Aufarbeitung von Gefühlen als Äquivalent zum Gespräch mit Freunden in trauter Kneipenrunde leisten. Wo Menschen einander zuhören, kann kein Ort sozialer Kälte sein.
Dennoch, bei all der katalysierenden Wirkung, die ein in digitale Häppchen aufgefächertes Gefühlsleben sinnvoll erscheinen lässt, kann ein Blick auf das unterschiedliche Verständnis von sozialen Netzwerken und dem Maß des sich Mitteilens nicht schaden. Neben der Beziehung, die im Netz ihre Darstellung findet, pflegt ein Mitglied eines Netzwerkes mehr oder weniger enge Bindungen zu anderen Usern. Entscheidend ist hier das weniger – vielleicht. Der Begriff des ‚Oversharings’ – das Teilen von mehr persönlichen oder intimen Informationen als Adressaten als angebracht und angenehm empfinden – ist vielleicht derzeit eine der spannendsten Konfliktlinien innerhalb des Social Web. Für manche Nutzer sind das #beischlaftweets, laute Parteibekenntnisse vor einer Wahl oder suizidale Gedanken. Durch diese unterschiedlichen Präferenzen aber gruppieren sich Menschen im Web nicht nur entlang tatsächlich bestehender Bekanntschaften und Interessensgebieten, sondern auch entlang empathischer Fähigkeiten, Toleranz und Schmerzgrenzen.
Wer dies alles unter Mädchenkram ablegt, irrt. Das Feld der großen Gefühle wird im Bereich der Statuts-Updates auch immer mehr von den männlichen Teilnehmern befüllt. Die Autorin Elisabeth Rank fragte noch im Rahmen der re:publica 2009 „Wieso bloggen so wenig Männer über ihre Gefühle?“ Es scheint für Männer leichter dies im stark begrenzten Rahmen der Status-Aktualisierungen zu tun. Es scheint nahezu verlockend. Auch wenn es im Bereich der Blogs und längeren Texte weniger evident ist, das Bekenntnis zu Gefühlen ist chic, das Veröffentlichen eines Beziehungsstatus dabei nur der erste Schritt. In sozialen Netzwerken stellt sich mehr und mehr für unterschiedliche Bereiche das Phänomen der sozialen Erwünschtheit ein, der nachgegeben wird. In den Wochen und Tagen vor der Bundestagswahl erschienen Status-Updates stark politisiert; das reichte von Kommentierung der Wahlprogramme über Aufforderungen Wählen zu gehen bis zum Offenlegen von Erst- und Zweitstimme. Für die Romantik des Alltags scheint sich Ähnliches einzustellen. Als gute Freundin oder treuer Ehemann erwähnt man die bessere Hälfte ab und an auch digital. Ebenso wichtig scheint dies für den letzten Schliff der Selbstdarstellung: eine glückliche Partnerschaft gehört zu einem erfüllten Leben dazu so wie ein gut bezahlter Job und das entsprechende Auto. Selbstgeschrieben erreicht die Liebes- und Lebensgeschichte den gewünschten Grad der Perfektion. Und in Zeiten, in denen Beziehungen loser geführt, Ehen später oder nie geschlossen werden und die Erstgebärenden 40 sind, beruhigt der elektronische Ring am Finger und das digitale Treuegelöbnis vorerst das Gemüt.
Heiratsanträge gestellt über Twitter, der erste Schritt zur Trennung über das Löschen des Liebsten aus der Friend-List, die Anbahnung einer Romanze über einen nobel geschriebenen Pinnwandeintrag – auf den ersten Blick scheint dies neu, fremd und ein wenig zu einfach, und dennoch voller Poesie. Es bleibt Geschmacksfrage, wem die Liebe gelten soll: Nur ihm oder ihr, oder einem Teil der Welt. Doch Liebe scheint mehr und mehr für alle da. Gefühle lauern im Netz an jeder Ecke. Sie umarmen elf Jungs auf dem Platz, gelten Politischem oder der Band auf der Bühne. Wer sagt schon, dass die ganz großen Gefühle immer die von der rosaroten Wolke sein müssen?
Ihr könnt diesen Text auch ausdrucken oder ab dem 15. März im BLANK-Magazin lesen. Für die Kommentare wünsche ich mir vor allem, dass ihr Herrn Schmitz bittet, einen Beitrag über Modeblogs zu schreiben. Das wünsche ich mir nämlich zum Geburtstag.