Bei der EU-Wahl holt die Piratenpartei in Schweden bei der Gruppe der Jungwähler (18-30 Jahre)
mehr Stimmen als jede andere Partei. In Deutschland fegt eine Welle der Empörung durch das Netz, weil die große Koalition ein Gesetz durchwinkt, welches die Rechtsstaatlichkeit in ihren Grundfesten
erschüttert. Die Piraten holen ein
knappes Prozent. Und die Alterwürdigen huldigen der Macht.
Das System dahinter ist so banal wie kurz gedacht. Ob Henne oder Ei, die Bild entschloss sich relativ frühzeitig dazu, den Altkonservativen
Rückendeckung zu geben und Ursula Von der Leyens Internetsperrgesetz ganz im Sinne der Erfinderin zu lancieren. Gegner wurden rigoros abgewatscht. Ein Schelm, wer bei der Zweckgemeinschaft Krogmann/Draxler Böses denkt. Man ist es ja nicht anders gewöhnt.
Nun ist die Bild nicht irgendein Medium, sondern vermutlich eines derer mit den größten Reichweiten. Die "Internet-Community", oder kurz "Community", wie sie inzwischen gern genannt wird, dahingegen ist ein zartes Pflänzchen, ein Sprössling, jedenfalls noch lange nicht in voller Blüte. Ihre Stimme taugt
noch nicht für das Rauschen im Walde.
Wahlpolitisch scheint damit klar, was zu tun ist. Wer was gelten will, muss bei der kommenden Wahl auf Rot setzen, auf jenes mit 4 Buchstaben. So wähnt man schließlich im Zweifelsfall den Großteil der Bevölkerung hinter sich. Welcher gute Volkspolitiker käme schon auf die Idee, dem Newsgiganten in der heissen Phase des Wahlkampfs zu widerstehen und den Mann von der Straße mit Bildern nackter Jünglinge zu vergraulen? Richtig.
Die Vermutung, dass hinter dem Verhalten der Protagonisten Kalkül steckt, lässt sich ebenfalls mehr als deutlich an selbigem ablesen. Frau von der Leyen nahm ebenso wenig an Ausschüssen wie Abstimmungen betreffend "ihres" Gesetzes teil, denn wetterfest und schmutzresistent ist ihre Fönfrisur nicht. Sitzen tut sie nur im rechten Licht. Anderswo möchte man im Wahlkampf auch nicht stehen. Und wer hätte sich schon öffentlich von jemandem bloßstellen lassen wollen, dem man vorwirft, ein Päderast zu sein.
Das wollte nicht einmal Herr Dörmann von der SPD.
Was aber, wenn der Wahlkampf vorüber ist? Die Parteien gehen ganz im Sinne der klassischen Wahlversprechen davon aus, dass Otto Normalverbraucher in 4 Jahren nicht mehr daran denken wird, was am 18. Juni 2009 geschah. Ob diese Binsenweisheit allerdings auch für das Internet, diesen riesigen, furchteinflößenden und interaktiven Datenspeicher, gilt, ist zumindest fraglich. Wir werden es erleben.
Nimmt man einmal an, man würde nicht vergessen, in 4 Jahren hätte man immer noch mit den Geistern, die man heute rief, zu tun: die Langzeitwirkungen des heutigen Tags könnten schlimmer nicht sein - zumindest aus Sicht der Volksparteien. Denn gerade die Jungwähler sind netzaffin, verteidigen diesen Hort der Glückseligkeit (und vermeintlich der Kinderpornographie) wie ihre Augäpfel. Sie sind es aber auch, die in ein paar Jahren darüber entscheiden werden, wer sie regiert. Denn so alt wird nicht einmal die Wählerschaft der CDU, auch wenn die Parteispitze selbst nur all zu gern vom ewigen Leben fantasiert.
Dass eine Generation heute zum Bauernopfer eines Kuhhandels zwischen konservativen Popularmedien und Regierungswilligen wurde, scheint zu groß, um zwischen Bits und Bytes zu verloren zu gehen. Denn was Jahrgängen von Politikern nicht gelang, findet man dank
#Zensursula heute in den sozialen Netzen wieder: U30-Politisierung; etwas, was selbst Linksaußen schon längst ad acta gelegt hatte.
Dass das Gesetz selbst einen Angriff auf Informationsfreiheit, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, Länderkompetenzen und Demokratie an sich darstellt, bezweifeln selbst führende Rechtsexperten
nicht. Insofern ist es zumindest nicht ganz unwahrscheinlich, dass dieser perfide Versuch der großen Koalition, kurz vor ihrem Ableben Machtverhältnisse und Kontrollsysteme dieses Landes im Sinne gereifter Renitenz auf den Kopf zu stellen, an der ein oder anderen Hürde, die noch auf ihn wartet, scheitern wird. Im Sinne des Allgemeinwohls wäre es allemal, wenn ein Gesetz, das Kontur mit Konjunktiv verwechselt, eine angemessene Halbwertszeit bekäme.
Was aber bleiben wird, ist das Gefühl einer Generation, nicht verstanden zu werden. Ein Gefühl, das von je her Motor der Veränderung war und nun frei nach Sascha Lobo mit dem Netz den
richtigen Kraftstoff gefunden hat. Das ist es, worüber man sich in den Spitzen von CDU und SPD Gedanken machen sollte. Denn das Netz und seine Denke wird die Bild und ihre Leser zwangsläufig überholen; ein Umstand, der
Futter für etwaige Projekte im
niedrigen zweistelligen Bereich liefert.