model at strenesse blue, photo by trevor from good & up
24 Stunden nachdem die
Mercedes-Benz-Fashion Week am Samstagabend mit der Modenschau der dänischen Designerin
Stine Goya einen Abschluss fand, spannt sich das
Zelt des Modezirkus noch immer fest über die Hauptstadt. Keine Zeitung verzichtet auf Berichte über die Berliner Modewoche, die zahlreich angereisten Blogger finden am Morgen die Muße, die Mode des kommenden Winters zu kommentieren;
Streetstyle-Fotografen jagen auf dem Flohmarkt im Mauerpark den
Stil Berlins in der Kälte. Die Boutiquen der jungen Avantgarde-Designer öffnen ihre Show Rooms am Ruhetag für den Verkauf; kurz vor der Abreise schlendern die
Mode-Touristen durch die
Retrospektive des Modefotografen F.C. Gundlach im Martin-Gropius-Bau.
Die Modewoche, deren großes Show-Zelt seit 2007 in Berlin aufgeschlagen wird, ist in diesem Jahr im Schoß der Stadt angekommen. Die Schauen am Bebelplatz werden ergänzt durch die Verkaufsmessen
Bread & Butter,
Premium und
THEKEY.TO, eine Plattform für „grüne“ Mode. Zahlreiche junge Modeschöpfer laden zu eigenen Präsentationen in kleinem Rahmen ein. Über 100 verschiedene Veranstaltungen haben seit Mitte der Woche das Modepublikum aus ganz Deutschland angezogen und streuen sich quer durch die Stadt. Das rege Treiben der kreativen
Schneiderkunst erfreut jedoch nicht jeden Berliner. Eine
Petition von Bürgern wehrte sich gegen das Zelt auf dem Bebelplatz und verwies auf seine Rolle als Ort des Gedenkens an die Bücherverbrennung 1933 durch die Nazis. Die ausrichtende Agentur IMG ist nun auf Suche nach einem neuen Veranstaltungsort. Denn der Petitionsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses empfiehlt, „die Nutzung des Bebelplatzes nur zuzulassen, wenn ein würdevoller Umgang mit dem Mahnmal gewährleistet ist.“ Die Fashionweek fällt aus Sicht der Petenten unter eine nichtkulturelle
„Halli Galli“-Veranstaltung.
Doch die Berliner Modewoche nicht als Teil der Kulturszene zu begreifen, verkennt ihren künstlerischen Anspruch, den sie allmählich entfaltet. Das erste Mal gab es in diesem Jahr eine gemeinsame
Show von neun Avantgarde-Designern, die ihre Kollektionen im ehemaligen
ungarischen Kulturzentrum vorstellten.
Frank Schröder, der über sein Blog
„I heart Berlin“ erste Kontakte zu Designern knüpfte, hatte die Idee zu
"Designerscouts" nach dem er im Rahmen der London Fashion Week die „Vauxhall Fashion Scouts“ besuchte. Die Show am Donnerstagabend verknüpfte Mode, Kunst, Musik und
Netzkultur zu weitaus mehr als einer
„Modeparty“, wie ein Protestplakat am Mahnmal des Künstlers Micha Ullmann titelte.
Auch im Zelt am Bebelplatz suchten die Designer die Nähe zu anderen Formen der Kunst. Die Designerin Andrea Karg vom Label Allude arbeitete für ihre Show mit dem Lyriker Albert Ostermaier zusammen. Seine eigens für die Kollektion geschriebenen Texte wurden von Schauspieler Axel Milberg eingelesen und untermalten die Show.
Patrick Mohr, der in der letzten Saison seine Entwürfe von Obdachlosen auf dem Laufsteg zeigen ließ, schickte dieses Mal wieder Models abseits der Norm auf den Catwalk: mit
Bodybuildern und Frauen mit extremen Silikonbrüsten stellte der Münchner eine Spielart der Körperkunst noch vor seine eigene Mode.
Obgleich Patrick Mohr als Enfant Terrible der deutschen Designer einmal wieder die gesitteten Laufstege am Bebelplatz aufmischte, reicht diese Art der
Provokation nicht aus, um ein internationales Fachpublikum zu locken. Suzy Menkes, die Koryphäe der Modekritiker vom International Herald Tribune, kehrte nach ihrem erstmaligen Besuch im vergangenen Sommer nicht an den Bebelplatz zurück. Die Bloggerin
Mary Scherpe jedoch organisierte die virtuelle Teilnahme der renommierten Journalistin. Sie hatte Suzy Menkes kurz zuvor in Paris besucht und für die Panel-Diskussion
„Fashion Blogs – Hype or Future“ interviewt. Nach dem Eingangsstatement von Suzy Menkes diskutierten Blogger und Journalisten mit den knapp 250 Gästen. Suzy Menkes äußerte sich begeistert über die Veränderungen, die sich innerhalb der Mode durch das
Social Web ergeben haben: „Mode ist zu einem Dialog geworden – das wird sich nicht mehr ändern, so bleibt es für immer.“
Die Modebranche hat sich tatsächlich konsequent für enthusiastische
Nachwuchskritiker geöffnet, deren Einschätzungen Designer auch in Paris und London so große Bedeutung beimessen, dass Modeblogger die Präsentationen kommender Trends von der ersten Reihe aus erleben dürfen. Die kriselnde Musikmesse Popkomm hat in den letzten Jahren Bloggern den Zutritt verwehrt; die Mode-Events in Berlin akkreditieren sie selbstverständlich. Designer laden sie ein hinter die Kulissen der Schauen,
Strenesse Blue engagierte
Julia und Jessie von Les Mads für eine Live-Berichterstattung über Twitter, die Michalsky StyleNite bot den Zuschauern, die keine Einladung ergattert hatten, einen Video-Livestream im Netz. Schon wenige Stunden nachdem die Kreationen den Laufsteg verlassen haben, beginnt der Dialog.
Die Arbeit der Online-Kritiker trägt dazu bei, die Berliner Modewoche über die Stadtgrenzen hinaus bekannt zu machen.
Dass die Modewoche in Berlin nach wie vor um Legitimation als kulturelle Veranstaltung kämpfen muss, hat mehrere Gründe: aufgrund fehlender international etablierter Modeschöpfer ist das Berliner Aufgebot für das Herz der Modekritik ein
Nice to have, aber kein Pflichttermin. Das Befüllen der Rängen mit C-Prominenten kratzt an der Ernsthaftigkeit der Veranstaltung, hält kulturelle Meinungsführer von der Teilnahme ab und befördert die Tendenz der Berichterstattung, sich anstelle von Mode auf
Klatsch zu fokussieren. Mitunter bestärken die Designer die personenzentrierte Wahrnehmung selbst:
Michael Michalskys StyleNite glich einer abgehobenen Hommage an die eigene Person, die eine triste Kollektion nicht zu stützen wusste;
Lena Hoschek las anstatt über ihre Kleider nur über das Stolpern des ProSieben-Topmodels Barbara Meier, das auf ihrem Laufsteg die Schuhe verloren hatte. Der einstige Medienliebling der Modenschauen,
Klaus Wowereit, hatte sich derweil im Zelt der Mercedes-Benz Fashion Week angenehm zurückgehalten. Die einzige Besucherin aus der Bundespolitik war Grünen-Politikerin Claudia Roth, die stolz erzählte, die Grünen hätten
"das schnöde Grau im Bundestag durchbrochen". In der Vergangenheit hat Claudia Roth immer wieder durch modischen Mut und Roben des Luxus-Labels Escada geglänzt und
irritiert. Ein ebenso beherztes Verwerfen der Konventionen könnte nun der nächsten Fashion Week zu mehr Relevanz verhelfen: dies würde in erster Linie bedeuten, die Mode allein als Stargast zu laden.
Dieser Artikel ist zuerst the old fashioned way gedruckt auf Papier erschienen im Freitag.
Für mein Mode- & Mädchenblog flannel apparel könnt bei Gefallen ihr noch bis Ende des Monats bei der Mädchenmannschaft abstimmen.