1/26/2010

Ein Kommentar: 10 Thesen der Musikindustrie gegen die Kulturflatrate



Der Bundesverband Musikindustrie hat ein Papier mit 10 Thesen veröffentlicht. In diesem geht es darum aufzuzeigen, warum die Kulturflatrate ein Irrweg sei.
Netzpolitik schreibt dazu:
In der Einführung heißt es zudem zur Kulturflatrate, dass “niemand genau weiß, was damit genau gemeint ist”. Das eigene Verständnis der Kulturflatrate liefert der Verband allerdings nach: “Gemeint ist mit der Kulturflatrate meist eine Zwangsabgabe auf den Internetzugang, mit der Urheber und Kreative für die illegale Nutzung ihrer Arbeit entlohnt werden sollen.”

Ein Kommentar
1. Die Kulturflatrate ist unfair, weil Verbraucher für etwas bezahlen, was sie gar nicht nutzen.
Heute kann der Konsument nach persönlichen Vorlieben entscheiden, ob er sein Geld lieber für Musik, Filme, Bücher oder andere Kulturprodukte ausgibt. Dabei kann er bereits heute wählen, ob er einen einzelnen Song kaufen möchte oder lieber ein Musikabonnement abschließt. Mit der Kulturflatrate hat das ein Ende. Denn sie ist – ähnlich wie die GEZ – eine Zwangsabgabe, mit der Verbraucher für etwas bezahlen müssen, dass sie unter Umständen gar nicht nutzen.
Die Kulturflatrate ist mehr das Wegentgelt hin zum Kulturgut, zur digitalen Allmende. Eine, die jeder nach eigener Fasson nutzen kann. Es gibt im Internet nicht nur Schafe.
2. Die Kulturflatrate entzieht gerade den neuen digitalen Geschäftsmodellen die ökonomische Basis.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft arbeitet mit Hochdruck am Aufbau neuer, digitaler Geschäftsmodelle. Die Kulturflatrate würde diese Anstrengungen torpedieren. Wenn im Internet Musik, Filme oder Bücher bei Zahlung einer Pauschalabgabe ohne Schranken frei verfügbar sind, gibt es für Konsumenten keinen Grund mehr, die bestehenden legalen, kostenpflichtigen Angebote zu nutzen. Die ohnehin schon risikoreichen Investitionen bleiben aus, weil man mit „kostenlos“ nicht konkurrieren kann.
Das ist sicherlich richtig. Aber auch hier würden sich neue Lizensierungs- und Geschäftsmodelle finden. Dass der Markt sich an die Kulturflatrate nicht anpassen würde, ist ein Irrglaube, den Konservative nur zu gern vor sich her schieben, wenn es um den Erhalt des Status Quo geht.
3. Die Kulturflatrate führt zu einer unverhältnismäßig hohen Belastung aller Konsumenten und benachteiligt sozial Schwache.

Mit fortschreitender Digitalisierung und zunehmendem Ausbau der Bandbreiten sind immer mehr Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft vom unrechtmäßigen Gebrauch ihrer Produkte betroffen. Eine Kulturflatrate müsste mittelfristig nicht nur Musik, Filme oder Bücher erfassen, sondern würde alle Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft betreffen. Nach Schätzungen der Bundesjustizministerin kämen auf jeden Verbraucher mit Internetanschluss zusätzliche Kosten in Höhe von 50 Euro pro Monat zu. Gerade sozial Schwache können sich das nicht leisten.
Die Höhe des Zahlbetrags müsste sozial verträglich an Zahlungsbereitschaft bzw. -vermögen angepasst werden. Auch die abstrakte Summe von 50 € ist an dieser Stelle mit Vorsicht zu genießen.
4. Die Kulturflatrate erfordert den Aufbau eines gigantischen Bürokratie- und Verwaltungsapparates.

Ließ sich die Erhebung einer Kulturflatrate noch vergleichsweise einfach organisieren, fangen die Probleme bei der Verteilung der Gelder erst richtig an. Schon heute beschäftigen Verwertungsgesellschaften Heerscharen von Mitarbeitern für die Erfassung, Bewertung und Verteilung von Lizenzeinnahmen. Die Kulturflatrate würde diesen Verwaltungsaufwand gigantisch erhöhen. Während der Kulturflatrate viele attraktive Arbeitsplätze bei Labels, Verlagen oder Filmproduktionen zum Opfer fallen würden, schafft sie gleichzeitig tausend langweilige für die Verwaltung und Verteilung. Schöne neue Kreativarbeitswelt.
Communities wie z.B. Last.fm ließen sich "problemlos" für Datenerhebung nutzen. Gleiches gilt für Youtube, etc pp. Dass Bürokratie in Zeiten der zunehmenden Vernetzung zunähme, ist ein Schluss der Ahnungslosen. Macht man es richtig, wird es zumindest nicht schlimmer als jetzt. Ein Anlass auch über GEMA und Co und deren Verteilungsschlüssel nachzudenken.
5. Die Kulturflatrate verflacht die Kultur.

Bei der Kulturflatrate ist ein Song aus dem Computer genauso viel wert wie Beethovens Neunte, ein Pornofilm das gleiche wie ein cineastisches Meisterwerk und der Groschenroman steht auf einer Ebene mit dem literarischen Klassiker. Weil für die Abrechnung nur die Masse der Downloads zählt, entfällt jeder Anreiz Zeit und Geld in Nischenprodukte zu investieren. Die kulturelle Vielfalt nimmt ab. Die Kultur verflacht.
Gewagte These, die sich nicht halten lässt, da sie nichts Neues postuliert. Das ist jetzt schon so, in "echt". Ein "Song aus dem Computer" kann mehr wert sein als Beethovens Neunte, wenn die Nachfrage stimmt. Geht man zumindest von der hier postulierten - fragwürdigen - monetären Wertschätzung aus.
6. Die Kulturflatrate nimmt Urhebern und Künstlern das Recht über die Verwendung ihrer Werke selbst zu bestimmen.

Heute können Urheber, Künstler, Autoren und andere Rechteinhaber frei darüber entscheiden, wie und wo ihre Werke und Produkte verwendet werden dürfen. Sind im Internet alle Kulturgüter auch nur für den nicht kommerziellen Gebrauch frei nutzbar, kommt dies einer Enteignung der Rechteinhaber gleich. Denn wenn die Kulturflatrate Sinn haben soll, hat der Konsument keine Möglichkeit mehr zu unterscheiden, was legal und was unter Umständen illegal ist. Dementsprechend kann der Rechteinhaber sich auch nicht mehr dagegen wehren, wenn er nicht will, dass seine Produkte im Netz frei verfügbar sind.
Ein Punkt, dem man nicht ganz widersprechen kann - dem ich nicht widersprechen will, weil die Rechte beim Künstler (!) am besten aufgehoben sind. Wobei de facto schon heute die Kontrolle über Content in dem Moment verloren geht, in dem er das Netz "betritt". Per Gesetz ließe sich allerdings nicht mal das heutige Dilemma abschalten. Filesharing ist real, der Verlust der Kontrolle ebenfalls, ergo nichts, was erst durch die Kulturflatrate geschaffen würde.
7. Die Kulturflatrate widerspricht den ökonomischen Prinzipien unserer Gesellschaft.

Bestehende, markwirtschaftliche Prinzipien in der Kultur- und Kreativwirtschaft haben eine einzigartige kulturelle Vielfalt hervorgebracht. Wesentlicher Bestandteil einer freien Marktwirtschaft ist, dass der Produzent über die Verwertung seiner Produkte frei entscheiden kann. So kann er beispielsweise über den Preis frei entscheiden. Diese grundlegenden Prinzipien werden durch die Kulturflatrate außer Kraft gesetzt, denn mit der Einführung der Kulturflatrate wird privates geistiges Eigentum zum öffentlichen Gut. Die Kulturflatrate ist die Verstaatlichung der Kultur- und Kreativwirtschaft.
Das ist schlicht weg falsch. Nicht die Kultur und Kreativität wird verstaatlicht, sondern die produzierende Industrie dahinter - wenn man überhaupt von Verstaatlichung sprechen kann. Den Eindruck zu vermitteln, hier ginge gleichzeitig die kreative Vielfalt verloren, ist irreführend. Des Weiteren würde je nach Verteilungsschlüssel immer noch Wettbewerb entstehen. Dass ökonomischen Prinzipien gänzlich widersprochen würde, ist also nicht richtig. Lediglich das Spielfeld würde neu aufgezogen.
8. Die Kulturflatrate verstößt gegen international geltendes Urheberrecht.

Die Kulturflatrate verstößt gegen wesentliche Prinzipien des international geltenden Urheberrechts. Gerade aber weil sie Probleme lösen soll, die erst durch das globale Medium Internet entstanden sind, ist sie als nationaler oder europäischer Alleingang völlig untauglich.
Das mag sein, aber über die Reform eben dessen wird ja gerade gestritten. Ein Münchhausenargument.
9. Die Kulturflatrate führt zu einer Entwertung des geistigen Eigentums.

Durch Flatrates geht beim Konsumenten das Gefühl für den Wert individueller, kreativer Leistung verloren. Was beim Telefonanschluss oder Internetzugang sinnvoll sein mag, taugt nicht als ökonomisches Prinzip zur Erreichung von kulturellen Höchstleistungen.
Der Wert einer kreativen Leistung besteht nicht ausschließlich in deren monetärer Wertschätzung. Anders ließen sich auch Phänomene wie Bloghouse, Photoblogs, Open Source, Creative Commons und Co nicht erklären. Es geht um Fame, den man tatsächlich - und das viel realer - auch ohne Geld bekommen kann. Entwertet wird lediglich der aufgeblähte wirtschaftliche Medienapparat.
10. Die Kulturflatrate wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.

Die Digitalisierung und das Internet haben die Komplexität des Urheberrechts enorm erhöht. Da erscheint die Kulturflatrate – ähnlich wie die Steuerreform auf dem Bierdeckel – als einfache Lösung einer zunehmend komplexer werdenden Welt. Aber der Schein trügt. Wer soll ihre Höhe festlegen? Wer legt fest, was ein Buch, ein Film, ein Musikstück oder ein Foto wert ist? Wer entscheidet über die Verteilung innerhalb der einzelnen Bereiche der Kreativwirtschaft? Wie soll die Nutzung gemessen werden, ohne beispielsweise den Internetverkehr zu überwachen und damit datenschutzrechtliche Fragen aufzuwerfen? Welche Institution soll die Gelder verteilen? Wie bleiben die Eigentumsrechte der Urheber und Leistungsschutzrechtinhaber gewahrt? Wo sollen in Zukunft die Anreize für Investitionen in junge Talente herkommen? Wer entscheidet darüber wer Künstler und was Kunst ist und wer kein Künstler und was nicht Kunst ist? Wer soll an ihr beteiligt werden, nur die Urheber und Künstler oder auch Labels, Verlage und Produzenten? Die Liste dieser Fragen ließe sich endlos weiterführen. Stellt man sie den Befürwortern der Kulturflatrate, erntet man meist nur ein müdes Achelzucken. Bis sie beantwortet sind, bleibt die Kulturflatrate nur Floskel ohne Inhalt und kein nachhaltiges Konzept für eine zukunftsfähige Kultur- und Kreativwirtschaft.
Das ist korrekt. Neue Entwicklungen werfen neue Fragen auf, zu denen neue Lösungen gefunden werden müssen.

Fin

Ich möchte anmerken, dass ich die Variante Urheberrechtsabgabe favorisiere, wie sie auch von Robin Meyer-Lucht ausführlich angeführt wird. Auch, wenn diese eine "Notlösung" ist, wird sie der Realität mE gerechter als geltendes Recht und Kulturflatrate, die aber seitens der Musikindustrie an dieser Stelle nur unzureichend und plakativ kritisiert wird.

Eine differenziertere Betrachtung wäre sowohl möglich als auch von Nöten gewesen. Es gibt hinsichtlich der Verwertung von urheberrechtlich geschützten Materialien nicht nur die eine oder die andere Lösung. Die Musikindustrie tut sich keinen Gefallen, wenn sie alternative Modelle auf die Kulturflatrate reduziert. Schrumpfen wird sie so oder so, den Wandel nicht stoppen können.


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